Die Erwähnung Rübenachs im „Breviarium sacti Lulli“

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von Klaus Dicke

Seit 775 gibt es also den Ort, der heute Rübenach heißt. Was geschah denn eigentlich in jenem Jahr 775 mit diesem Ort und woher wissen wir davon?

Der junge König Karl (768 – 814), der spätere Kaiser Karl „der Große“, hat schon in seinen ersten Regierungsjahren versucht, die Kirchen und Klöster an der Ostgrenze des Reiches in seinem Kampf gegen die heidnischen Sachsen einzusetzen. Eine besondere Rolle kam dabei dem wahrscheinlich 769 vom Hl. Lul gegründeten Kloster Hersfeld an der Fulda zu. Doch schon im Jahre 775 übertrug Lul, Erzbischof in Mainz, dieses sein Eigenkloster an König Karl. Der König nun erhob Hersfeld zur Reichsabtei und beschenkte es reichlich, so dass es seine Aufgabe als Missionsstützpunkt gegen die Sachsen erfüllen konnte. Einige Schenkungen dienten nun der Verbindung des Außenpostens Hersfeld mit dem Reichsinnern und besonders mit dem Erzbistum Mainz. Unter diesen Schenkungen König Karls an Hersfeld befanden sich u. a. „in Andernacho et in Ribenahcho et in Gulse et in Meinesfelde capell(as) III hub(as) V, m(ansus) X“, also in Andernach, Rübenach, Güls und Mensfeld drei Kapellen fünf Hufen und zehn Mansen.

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Woher aber wissen wir von dieser Schenkung und können wir aus dieser „Quelle“ erfahren, wann sie stattgefunden hat? Der eben zitierte Satz, in dem Rübenach erwähnt wird, steht im so genannten „Breviarium sancti Lulli“. Dieses „Breviarium“ ist das älteste Güterverzeichnis des Klosters Hersfeld und gesteht aus insgesamt drei Tafeln, von denen hier nur Tafel 1 interessiert, denn dort ist die „traditio domni Karoli imperatoris“, die Schenkung unseres Herrn, Kaiser Karls, verzeichnet. Karl wird hier mit „Kaiser“ tituliert und das weist darauf hin, dass die liste nach der Kaiserkrönung im Jahre 800 entstanden ist. Da das gesamte Verzeichnis umfangreiche Schenkungen an Hersfeld aus den Jahren 815 und 835 nicht aufführt und da anderseits die verzeichneten Besitzungen, soweit sie sich durch Schenkungsurkunden belegen lassen, zwischen 775 und 814 an Hersfeld kamen, ist das „Breviarium“ wohl mit dem Tod Kaiser Karls 814 entstanden. Nach einer möglichen Neufassung um 900, die jedoch den Inhalt unberührt ließ, wurde zu Beginn des 12. Jahrhunderts eine Abschrift des „Breviarium“ in ein Hersfelder Kopialbuch aufgenommen. Dieses Kopialbuch ist bis heute erhalten und befindet sich im Staatsarchiv Marburg. Die Vorlage oder die Vorlagen für die Abschrift aus dem 12. Jahrhundert sind leider verloren gegangen.

Schauen wir uns die Tafel 1 mit den Karlsschenkungen einmal genauer an. Die Liste teilt die Besitzungen nach der jeweiligen Gauzugehörigkeit in Gruppen ein. Die Gruppe um Rübenach nimmt eine Sonderstellung ein: Zum einen fehlt hier die Gauzuordnung und zum anderen gehörte Mensfelden nicht wie die drei übrigen Orte zum Rhein-Mosel-Gau. Wir haben es bei der Gruppe um Rübenach zweifellos mit einem Nachtrag zu tun, sei es deshalb, weil der Schreiber der Liste die vier Orte bei keinem Gau unterzubringen wusste, oder Fand, als er die Liste bereits erstellt hatte. Hier eine Fälschung zu vermuten, wäre bei den Gebräuchen des Mittelalters zwar keineswegs abwegig, kommt jedoch für die vorliegende Stelle nicht in Frage. Rübenach gehörte also 814 – in diesem Jahr wurde ja das „Breviarium“ geschrieben – zu Hersfeld.

Doch wann war es in den Besitz des Lul-Klosters gekommen? Leider sind die Schenkungen von Andernach, Güls und Mensfelden nicht durch Schenkungsurkunden belegt und die Erwähnung im vorliegenden Güterverzeichnis allein lässt keine genaue Datierung zu; doch kann man zumindest einen Zeitraum von wenigen Jahren abgrenzen. Ein Vergleich mit noch vorhandenen Schenkungsurkunden ergibt, dass der Besitz, der auf der Liste  vor  und hinter der Gruppe um Rübenach verzeichnet ist, in den Jahren 779 – 782 an Hersfeld gekommen ist. Man kann durchaus annehmen, dass die Schenkung von Rübenach ebenfalls in diesen Jahren stattfand. Das spricht allerdings nicht gegen die Möglichkeit, dass Karl den Rübenacher Besitz schon 775 an Hersfeld übertragen hat. Als letzten möglichen Termin für die Schenkung kann man das Todesjahr Erzbischof Luls /86 angeben.

Wir können also festhalten: Das „Breviarium sancti Lulli“ sagt uns, dass König Karl zwischen 775 und 782, spätestens jedoch 786, seinen Besitz in Rübenach oder doch einen Teil davon dem Kloster Hersfeld übertragen hat.

Doch ist das alles, was uns das „Breviarium“ über Rübenach sagt? Ist es nicht möglich, jene 5 Hufen, 10 Mansen und 3 Kapellen auf die 4 Orte zu verteilen und von daher irgendwelche Aussagen über sie zu machen? Der Grundbesitz wird sich nicht verrechnen Lassen, doch wie steht es mit den Kapellen? Zwei davon lassen sich mit Sicherheit ausmachen:

  1. Die ehemalige St.-Martinus-Kapelle in der alten Königspfalz Andernach. Zu dieser Kapelle gehören auch Ländereien im rechtsrheinischen Leutesdorf, die Hersfeld noch im 16. Jahrhundert besaß.
  1. Eine Kapelle in Güls, ebenfalls mit dazugehörenden Ländereien. Hier wurde Hersfeld 1126 vom Servatiusstift in Maastricht abgelöst.

Wo befand sich nun die dritte Kapelle, in Rübenach oder in Mensfelden? Hersfelder Besitz ist für keinen der beiden Orte über die Erwähnung im Breviarium“ hinaus nachzuweisen. Doch zwei Tatsachen lassen für 775 eine Kapelle in Rübenach zumindest vermuten:

  1. In Rübenach gab es 888 eine Kirche. Dies lässt sich mit Sicherheit sagen, auch wenn das Diplom König Arnulfs an St. Maximin, das uns davon Kunde gibt, eine Fälschung ist.
  1. Die Ergebnisse der Grabungen auf dem fränkischen Friedhof weisen auf frühe christliche Bestattungen hin.

Die beiden Hinweise geben doch festere Anhaltspunkte für die Existenz einer Kapelle in Rübenach als die Genealogischen Überlegungen Gensickes für Mensfelden tun. Eine endgültige Klärung können wir nur von künftigen archäologischen Forschungen – vielleicht auch von Urkundenforschungen – erhoffen.

Was man sich unter dem Rivenahcha von 775 vorzustellen hat, darüber sagt uns das „Breviarium“ kaum etwas. Ir erfahren nur, dass es ein karolingisches Königsgut war, gegründet wahrscheinlich im Zuge des fränkischen Reichsaufbau in 6. oder 7. Jahrhundert. Wie alt Rübenach 775 jedoch genau war, wer es bewohnte, was es mit dem für uns nicht mehr greifbaren Sendenich zu tun hatte, was die damaligen Rübenacher treiben – dies alles sind Fragen nach der Verwurzelung des Ortes in der germanischen Geschichte des Rhein-Mosel-Dreiecks, Fragen, die wir offen lassen müssen. Ein Neubeginn ist jedoch in den Jahren um 775 fassbar: die Grundlegung einer christlichen Geschichte Rübenachs.

Ob der Ort nun 775 christianisiert war, oder ob die Aufsicht durch das Kloster Hersfeld 775 oder in den folgenden zehn Jahren den Anfang der christlichen Geschichte Rübenachs bezeichnet, – Differenzen  von einigen Jahren, so sehr sie die Historiker auch interessieren, sollten 1975 nicht daran hindern, 1200 Jahre christliche Geschichte Rübenachs zu feiern.
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