Die katholische Pfarrkirche

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1789

von Udo Liessem

Die mittelalterlichen Vorläufer der heutigen Kirche interessieren hier nicht, da sie bereits an anderer Stelle abgehandelt worden sind. Für die Baugeschichte der noch stehenden Kirche sind jedoch die Lassaulx´schen Pläne von größter Bedeutung.

Am 19. Mai 1846 wurde Johann Claudius von Lassaulx beauftragt, einen Plan und Kostenanschlag zu machen, der 30000 Taler nicht überschreiten sollte. Auf den Koblenzer war man wahrscheinlich deshalb verfallen, weil man wenige Jahre vorher beim Bau des Rübenacher Pfarrhauses (1839) gut mit ihm zurechtgekommen war. Die Pläne wurden angefertigt und unter dem 10. Dezember 1848 machte v. Lassaulx Witwe, er war am 14. Oktober verstorben, seine Honoraransprüche geltend, stieß jedoch auf wenig Entgegenkommen, so dass sogar der Landrat miteinbezogen werden musste.

Die Kirchenbaupläne gerieten ins Stocken, wurden zwar 1853 wieder aufgefrischt, bekamen aber erst am 14. August 1856 Gewicht, da unter diesem Datum ein Geldbeschaffungsplan an den Landrat eingesandt wurde. Bald darauf wird Bürgermeister Hubaleck mit dem Kölner Architekten Vincenz Statz in Verbindung getreten sein, denn in einem Brief des Baumeisters vom 27. November 1856 ist davon die Rede, dass der Plan für die Kirche in Arbeit sei.

Der Kölner Vincenz Statz (1819-1898) war aus der Dombauhütte in Köln hervorgegangen, in die er 1841 eingetreten war und wo er ab 1845 die Stelle eines zweiten Domwerkmeisters ausübte. 1854 trat er aus der Hütte aus und machte sich selbstständig. Statz ist wohl der konsequenteste Neugotiker, den die Rheinlande hervorgebracht haben. Und so nimmt es nicht Wunder, dass August Reichensperger, einer der brilliantesten Verfechter  der (Neu-) Gotik in Wort und Schrift, mit ihm befreundet war und sich, da er größten Einfluss ausübte, für Statz einsetzte. Auf diesen Einsatz ist es wohl auch zurückzuführen, dass Statz bereits 1851 die Restaurierung der Liebfrauenkirche in Koblenz zugesprochen bekam. Überhaupt hat Statz viel restauriert und größtes Verständnis für die mittelalterliche Kunst gezeigt und hat sich, so weit es möglich war, für die Beibehaltung der alten Bausubstanz bemüht. In Niedermendig ist auf ausdrücklichen Wunsch Statzens das „alte christliche Baudenkmal“, gemeint ist die romanische Cypriacuskirche, erhalten worden und parallel zur alten wurde die neue Kirche gebaut. Das war auch sein Vorhaben in Rübenach gewesen und er hatte sich, wie bereits gestreift, tatkräftig für den erhalt der romanischen Mauritiuskirche eingesetzt.

Bevor Statz den Auftrag für Rübenach bekommen hatte, hatte er sich im Rheinland und darüber hinaus einen Klangvollen Namen geschaffen, so hatte er u. a. Arbeiten in Neustadt b. Berlin, Riga, Berlin, Dessau durchgeführt. Größte Anerkennung hatten dem Rheinländer seine mit dem zweiten Preis bedachten Entwurf für die Votivkirche in Wien und die Goldene Medaille, die er seinem Wettbewerbsentwurf für eine Kathedrale in Lille verdankt, eingebracht. Betrachtet man die (unvollständige) Verbreitungskarte der Bauten Statzens bei Verbeek, so fällt deutlich auf, dass im Gebiet des linksrheinischen Teils des Kreises Koblenz-Mayen (und in Koblenz selbst) eine Häufung von Bauten des Kölners anzutreffen ist, von denen Nickenich und Niedermendig schon vor dem Bau der Kirche in Rübenach erstellt waren, so dass die Rübenacher sein Können aus nächster Nähe beurteilen konnten. Besonders hervorgehoben werden muss die Rheinbrohler Kirche, deren Pläne 1852 von Statz vorgelegt worden waren. So werden denn dieselben Gründe, die etwas später den Plaidter Pfarrer bewogen hatten, sich an Statz zu wenden, da dieser sich „durch die Anfertigung von Plänen zu neuen Kirchen schon einen berühmten Namen erworben hatte“, auch in Rübenach den Ausschlag für die Wahl des Kölners gegeben haben.

Das Urteil August Reichensperger soll dafür stehen, wie die Zeitgenossen Statz gesehen haben (Das betrifft jedoch nicht die letzten Jahre im Leben Statzens, der sich selbst, was seine Baukunst anging, überlebt hatte. Er war „unmodern“ geworden): „Ich brauche nur den Namen eines V. Statz … zu nennen, von welchem … schon mehr als ein halbes Hundert Kirchenbauten herrühren, alle in gotischem Stil, und zwar nicht in jenem schwächlichen, maskenhaften, der nur durch gewisse Äußerlichkeiten zu wirken sucht und – versteht, sondern in der kerngesunden, keimhaft aus der Tiefe sich entwickelnden und organisch bis in die höchste Spitze sich entfaltende Art, welche in den Wunderwerken des Mittelalters lebt“.

Zurück zu Rübenach: Statz hatte für dieses Vorhaben zwei Alternativen entworfen: einmal die Kirche ohne Turm und einmal mit Turm. Wie aus einem Schreiben des bischöflichen Generalvikariats hervorgeht (14. August 1857) sind die Pläne im Juli/August fertig geworden und die bischöfliche Behörde gab der aufwendigeren Lösung (mit Turm) den Vorzug. Zwei Kostenvoranschläge vom 20. Oktober und 11. November 1857 beliefen sich auf 34 000 Taler ohne und auf 45 000 Taler mit Turm. Am 24. November des gleichen Jahres schon beschließt der Schöffenrat, den Plan mit dem Turm zur Ausführung kommen zu lassen. Aber noch am 19. Dezember 1857 fehlen die Detailpläne. Weil die von Statz angegebene Summen zu hoch erschienen, wurde sich in Kottenheim und Niedermendig, wo Statz ebenfalls Kirchen errichtet hatte, nach den dort angefallenen Kosten erkundigt. In den Antwortschreiben, die beide vom 11. Januar 1858 datierten, wurden für Kottenheim eine Gesamtsumme von nur 14 000 Taler und 150 Taler Architektenhonorar und für Niedermendig 32 000 Taler für die Baukosten und 360 Taler Honorar angegeben. Unter dem 2. Februar 1858 wurde Statz sogar vom Landratsamt aufgefordert, die Rechnungen für die Rheinbrohler Kirche einzusenden (27 000 Taler Gesamtbaukosten, 300 Taler Plan und Kostenanschlag, 500 Taler Bauaufsicht). Die hohen Kosten, die Statz errechnet hatte, waren vor allem durch das kostspielige Baumaterial, u. a. Udelfinger Sandstein, entstanden. Hiergegen wehrte sich vor allem Bürgermeister Hubaleck. In einem Schreiben vom 14. April 1859 teilte das Landratsamt in dieser Angelegenheit mit, „dass, in Übereinstimmung mit der Ansicht des Bürgermeisters der Niedermendiger Stein für das Äußere dem Sandstein undbedingt vorzuziehen ist, nicht allein der Festigkeit wegen, sondern auch wegen der Übereinstimmung der Farben mit dem übrigen Mauerwerk“. Und im Protokoll des Schöffenrates steht unter dem 8. August 1859, dass die Kosten wegen der Wahl eines anderen Materials auf 33 000 Taler (statt 45 000 Taler) gesenkt werden können. Man wollte Mendiger, Riedener und Beller Stein verwenden und ferner sei „der zu hiesigen Hausbauten gebräuchliche  Lavastein vom Karmelenberg (= Schaumlava), welcher sich zu jeder Formbearbeiten lässt …“, vorzuziehen.

Da Statz den Bau nicht selbst beaufsichtigen konnte, musste ein anderer das bewerkstelligen. Nachdem eine erste Anfrage bei H. Nebel (1857) nicht zum Tragen gekommen war, wurde J. Cremer befragt, der aber ebenfalls nicht die Bauaufsicht übernahm (1858).

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Kirche vor der Zerstörung 1942, Kirchturm (Detailaufnahme) Wechsel des Quadratgrundriss in die achteckige Turmform

Nachdem der Koblenzer Kreisbaumeister Nell (laut einem Brief vom 29. November 1860) den Plan und den Kostenvoranschlag überprüft und für stimmig erachtet hatte, konnte mit dem Bau endlich begonnen werden. Das Datum für das Abstechen der Baustelle wurde nun endgültig auf den 24. Februar 1862 festgelegt. Am 14. April schließlich wurde noch beschlossen, das Kirchenschiff um ein Joch zu verlängern, Mehrkosten  2900 Taler. Ähnliches war auch in Rheinbrohl geschehen, damals hatte die Erweiterung aber nur 2000 Taler ausgemacht. Auch die Sakristei ist erst nachträglich projektiert worden. Es wäre möglich, dass Statz von dem Gedanken ausgegangen war, die alte Kirche als Sakristei zu benutzen und dadurch noch ein zusätzliches Argument zu deren Beibehaltung zu bekommen.

Die Frage der Bauaufsicht wurde erst nach einer Eingabe vom 14. März 1862, die der Landrat befürwortete, geklärt. Nach dieser Eingabe sollte an Stelle des Maurer- und Zimmermeisters Riemann der Koblenzer Stadtbaumeister Hermann Nebel, an den man ja schon einmal herangetreten war , den Bau leiten; Nebel akzeptierte.

Der einzige Plan der Rübenacher Kirche, der noch überdauert hat, scheint der Arbeitsplan Nebels gewesen zu sein. Er muss vor dem 14. April 1862 entstanden sein, denn die Kirche hat noch vier Joche. Ferner fehlte ihr die Sängertribüne, die später – aber noch während des Baues – angefügt worden ist (was nicht sonderlich gut geschehen ist). Die Sakristei ist später in den Plan hinzugezeichnet worden.

Der Plan, den Vincenz Statz für die Rübenacher Kirche entworfen hatte und der dann auch wirklich ausgeführt worden ist, wird erst verständlich, wenn man das Lassaulx´sche Vorhaben aus den Jahre 1846/47 kennt. Zum Glück ist in einer Flurkarte von Rübenach – es ging hier um die leidige Platzfrage – der Lassaulx´sche Plan wenigstens in Umrissen angegeben. Da v. Lassaulx aber einen ganz bestimmten, von ihm schon vorher veröffentlichten Plan, in Rübenach zu realisieren trachtete, sind wir in der Lage genaue Angaben über diesen Bau zu machen.

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Innenraum um 1920, Altarraum um 1930

Lassaulx hatte in den Jahren 1846/47 die Ramersdorfer Kapelle, ein Bau des frühen 13. Jahrhunderts, von Ramersdorf (bei Bonn-Beul) nach Bonn auf den dortigen Friedhof transloziert. Diese Kirche hatte ihn so fasziniert, dass er sie als Lithographie in Grundriss, Schnitten und Details herausbrachte und gleichzeitig den Grundriss der Kapelle zu einer Kirche von 12 267 Quadratfuß umwandelte. Den aus dem Achteck konstruierten Chor von Ramersdorf wandelte Lassaulx in ein Zwölfeck um. Die polygonalen Seitenschiffsapsiden behielt er bei. Die größte Veränderung bestand in dem hinzufügen eines sehr schmalen Querhauses und der Vorblendung eines Westturmpaares. Das Gewölbe der dreischiffigen Hallenkirche sollte durch nur vier schlanke Säulen getragen werden!

Die Kirchen von Ernst und Nickenich sind abgewandelte Muster dieses Idealgrundrisses, eine dritte Kirche nach diesm Plan sollte in Polch verwirklicht werden, kam aber dort nicht zum Zuge. Schweiger konnte nachweisen, dass v. Lassaulx 1847 noch an einem weiteren Projekt dieses Grundrisstyps arbeitete. Das Schweiger noch unbekannte Projekt ist mit dem Rübenacher Entwurf zu identifizieren.

Lassaulx Plan von Rübenach konnte leider nie verwirklicht werden. Jedoch Statz muss ihn noch gekannt haben. Seine Chorlösung, die Anbindung der Seitenschiffsapsiden an das Chorhaupt sind nur als Wiederaufnahme des Gedankengutes von v. Lassaulx verständlich. Auch derTyp der Hallenkirche wird auf die Entwürfe des königlichen Bauinspektors zurückgehen.

Die Rübenacher Kirche Statzens ist eine dreischiffige Hallenkirche von vier (später fünf) Jochen und einem aus dem Zwölfeck konstruierten Chor. Die Seitenschiffe schließen mit drei Seiten eines Sechsecks. In der Achs des Hauptschiffes steht der mächtige Westturm (Vorbild könnte Grenderich gewesen sein), der teilweise in die Kirche eingebunden ist.

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Grundriss der ursprünglichen Version (4 Joche). Die Apsis – 1942 zerstört – wurde 1952 nicht mehr aufgebaut.

Im Norden und Süden von ihm befinden sich zwei annexartige Anbauten, die im Äußeren durch ihre quergestellten Satteldächer auffallen und den Eindruck eines Querschiffes suggerieren. Der Turm öffnet sich in seinem Untergeschoss noch Osten und eine kleine dreischiffige Halle trägt die Orgeltribüne. Zwei weitere, zu beiden Seiten des Turmes, teilweise in seiner Mauerstärke, gestatten den Zugang vom Kircheninnern zu den Turmobergeschossen. Während der Turmhelm aus Stein ist, überzieht ein riesiges, geknicktes und geschiefertes Dach das Langhaus. Der Chor wurde besonders hervorgehoben, indem sich die Dachhaut über dem Chorhaupt zeltartig anhob und in einem kleinen, achteckigem Dachreiter gipfelte. Die Chorpartie wurde noch zusätzlich durch die beiden schlanken Helme der chorflankierenden Treppentürmchen unterstrichen. Die geradezu delikate Lösung des Chorhauptes kommt besonders im Innern voll zur Geltung: Acht Ecken des Zwölfecks formen das Chorhaupt und zwei weitere werden in das Kircheninnere in der Form von freistehenden Säulen hinein genommen. Die Verbindung zum Chor wird lediglich durch gotische Arkaden aufrecht gehalten.

Ein einfaches vierteiliges Kreuzrippengewölbe überspannt, von den nur durchschnittlich gestalteten Kapitellen ausgehend, das Mittelschiff. Die Seitenschiffsjoche haben ein ungleich kompliziertes achtteiliges Gewölbesystem, das durch seine einheftige Mittelrippe reizvolle Überschneidungen und Perspektiven eröffnet. Die  Dienste gehen von einem durchlaufenden profiliertem Sims an den Seitenwänden aus. Zwei einbahnige Fenster je Joch ergeben ein helles Licht. Die Außenwände werden durch alternierend starke und schwache Strebpfeiler, gegliedert, rufen jedoch eine gewisse Monotonie hervor. Im Vergleich dazu  ist der große Westturm zu „pompös“ ausgefallen; besonders der Übergang vom quadratischen Unterbau zum achtseitigen Aufsatz befriedigt nicht so recht.

Das besondere an diesem Kirchenbau Statzens ist, dass er einen  vorgefundenen Grundriss, der ein völlig anderes Stilempfinden ausdrückt, so umwandelt, dass daraus eine Eigenschöpfung wurde. Aus der klassizistischen Lösung Lassaulxs – mit neuromanischen Anklängen – wurde ein echter neugotischer Bau. Die großartige Chorlösung Lassaulxs beließ er, wandelte sie nur für seine Ideen um. Statz gelang es, einen Zentralraum mit einem Longitudinalraum organisch zu verbinden. Beide Raumkom-partimente behalten aber ihr Eigenleben in gewissem Maße bei. In dieser Verschmelzung von Chorhaupt und Langhaus liegt die besondere und kunsthistorisch wichtige Bedeutung der Rübenacher St. Mauritiuskirche.

Rübenach zählt zu den frühen Werken Statzens, „die ihre Frische und Klarheit wegen gegenüber den späteren hervorgehoben sind.

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Grundstein von 1862

Das Schlimmste was dieser Kirche  nach der Zerstörung des Chores widerfahren konnte, war nicht die purifizierende Ausmalung des Inneren, wobei alle Reste einer ehemaligen Ausmahlung und die herrlichen Fresken des Chores vernichtet bzw. überstrichen worden sind, sondern vielmehr der neue platte Chorabschluss, der die eigentliche Bauidee des Lassaulx, überliefert durch Staz, vollkommen vergewaltigte.

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1942 – Blick in den zerstörten Chorraum. Innenraum 1958 renoviert. Der Altarraum wurde 1966 der Liturgie entsprechend leicht verändert.

Es erscheint angebracht, bei der großen bau- und kunstgeschichtlichen Aufmerksamkeit, die diese Lösung beanspruchen darf, wenigstens die Umrisse des Chorhauptes außen im Boden zu markieren, um so die alte Bauidee nicht ganz in Vergessenheit geraten zu lassen.

Siehe auch Artikel Der Kirchenbau 1862–1866 und seine Vorgeschichte von Hans Gappenach oder Neubau der Kirche von Udo Liessem

Fotos von der heutigen Kirche siehe hier
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